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Roma-Trainer Daniele De RossiWie ein alter Mann seine grosse Liebe befreite

Daniele De Rossi und die Faust des Erfolgs: Aktuell trifft er mit seiner AS Roma im Europa-League-Halbfinal auf die Unbezwungenen aus Leverkusen.

Daniele De Rossi lebt im historischen Zentrum von Rom, gegenüber von der Engelsburg, dem Castel Sant’ Angelo. Und wer nun denkt, es sei ja wohl nebensächlich, wo der frühere Spieler und heutige Trainer der Associazione Sportiva Roma genau wohnt, der kennt Rom nicht. Die meisten Lieblinge der Romanisti leben am Rand der Stadt: im EUR, in Axa, in Casal Palocco. Entrückt, für etwas Ruhe und für einen kurzen Arbeitsweg zum Trainingszentrum draussen in Trigoria.

De Rossi aber wohnt schon lange mittendrin im Trubel der Stadt, ohne Furcht vor der stets drängenden Nähe der Fans. Vor ein paar Jahren lud er ein Fernsehteam, das ihn interviewte, auf die Terrasse seiner Wohnung ein: unten der Tiber und die laute Uferstrasse. Spätestens dann wussten alle Bescheid.

De Rossi, Rom, die Roma – mehr Symbiose geht nicht. Er sagte einmal, die Roma sei für ihn wie eine zweite Haut, er habe für sie eine «reine Liebe». Romantischer Kitsch? Oh, nein. Damit er nach Karriereende Derbys gegen Lazio in der Curva Sud erleben konnte, liess er sich von seiner Frau, der Schauspielerin Sarah Felberbaum, auch mal zum alten Mann umgestalten, mit grauem Haar und Falten.

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Nun ist DDR, wie sie ihn der Einfachheit halber rufen, schon seit bald vier Monaten Coach seines Vereins, Trainer und Tifoso in einer Person, was natürlich immer schon sein grosser Traum gewesen war – selbst zu Zeiten, da er noch aktiv war und die Mannschaft aus dem tiefen Mittelfeld heraus herumdirigierte: von 2001 bis 2019, 616 Spiele. Er war damals schon ein bisschen Trainer, ein Kämpfer und Motivator, eine Spielintelligenz auf dem Feld, einer auch, für den gut getimte Grätschen mindestens so wertvoll waren wie Tore.

Die Wehmut ist verflogen

Doch als die Friedkins, die texanischen Besitzer der Roma, ihn im Februar als Coach holten, fragten sich in Rom alle, ob das gut kommen könne, ob das nicht viel zu viel sei: zu viel Druck, zu viel Emotion, zu viel alles. De Rossi hatte erst einmal die Verantwortung für eine erste Mannschaft getragen, von der Spal aus Ferrara, Serie B damals, 16 Spiele nur, und es ging nicht gut aus. Er sagt das selbst bei jeder Gelegenheit: Ein Flop war das.

Und nun sollte er auch noch die Hälfte der Anhängerschaft der Roma, die seinem Vorgänger José Mourinho nachtrauerte, von sich überzeugen. «Mou» hatte am Ende die Gunst einiger Spieler verloren, das Spiel sowieso, in der Tabelle der Serie A war man auf den neunten Platz abgerutscht. Doch mit ihm hatte die Roma ihren ersten europäischen Titel überhaupt gewonnen, die Conference League 2022. Viele sahen den Rauswurf deshalb als Verrat.

Nach etwas mehr als hundert Amtstagen ist die Wehmut nachhaltig verflogen. Die Roma spielt nun doch noch um einen Platz in der Champions League, was bis vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Und um den Finaleinzug in der Europa League spielt man auch, gegen das bisher ungeschlagene Bayer Leverkusen. In Rom traut man sich sogar zu, die nimmerverlierenden Leverkusener das Verlieren zu lehren.

Sie nannten ihn «Capitan Futuro»

Der Geist hat gedreht. Müde gewordene Stars haben zu alter Frische gefunden, sie laufen, sie kämpfen: Lorenzo Pellegrini, Stephan El Shaarawy, Leonardo Spinazzola, Leandro Paredes, alle zurück. Sogar Chris Smalling genas mal schnell von einer langen, mysteriösen Unpässlichkeit, kaum war Mourinho weg. Es kommt nun vielen Römern so vor, als hätten die Spieler mit ihrer zwischenzeitlichen Apathie die Entlassung des Portugiesen befördern wollen.

Doch selbst diese böse These vermag die Gemüter nicht mehr zu bewegen. In der Südkurve des Stadio Olimpico wehen jetzt Fahnen mit De Rossis Konterfei drauf, auch alte sind dabei, solche von früher. Er ist nun mal, was die Italiener eine «bandiera» nennen, eine personifizierte Vereinsstandarte, auf ewig gepflanzt.

Gefeiert und besungen von der Curva Sud: Daniele De Rossi, kurz: DDR.

Früher nannten sie ihn etwas spöttisch «Capitan Futuro», Captain der Zukunft, weil De Rossi immer im Schatten von Francesco Totti gestanden hatte, seinem Freund, einem König der Stadt, dessen Karriere fast parallel zu seiner verlief und dem die Fans immer zuriefen: «C’è solo un capitano», es gibt nur einen Captain.

Ganz zum Schluss seiner Karriere, als Totti nur noch selten spielte, wurde aus der Zukunft dann doch noch für eine Weile Gegenwart, und De Rossi trug kurz die Binde am Arm. Das reichte ihm wohl. Intelligenter als der König war er immer schon, ein Intellektueller des Calcio, ein Prädestinierter für die Trainerbank.

Kann es überhaupt noch besser werden?

De Rossi, inzwischen vierzig Jahre alt, «mit einem Bart wie ein altrömischer Senator», wie es eine Zeitung kürzlich beschrieb, zeigt das in jeder Pressekonferenz. Er spricht schnell, mit römischer Kadenz und Tonfarbe, doch er verhaut keinen Konjunktiv. Vor allem weiss er genau, wie er die Römer nehmen muss, sie sind ein schwieriges Publikum, immer bereit zur Fundamentalkritik. Er zügelt den Enthusiasmus, auch wenn ihm das als Fan schwerfällt: Er war auch schon zwei-, dreimal unter der Kurve, um einen Sieg zu feiern. Gleich darauf besinnt er sich dann aber der Nüchternheit.

Neulich sagte ein Kommentator, De Rossi habe bisher keine einzige falsche Silbe gesagt. Und Fabio Capello, der mit der Roma 2001 Meister wurde und De Rossi dann zu dessen Debüt verhalf, sagt von seinem früheren Spieler, der sei schon «als Trainer geboren»: «Er ist ‹The Smart One›.» Die Anspielung auf Mourinho, der sich bekannterweise mal als «The Special One» beschrieb, war gewollt.

Als er noch als Spieler schrie: Daniele De Rossi während einer Serie-A-Partie 2019.

Mourinho war ein Demagoge in Rom, ein Volksbezirzer in eigener Sache. Nach Niederlagen stahl er sich gern aus der Verantwortung und klagte über den angeblich dürftigen Kader. Nur die Fans, das Volk also, hielt er für erstklassig, eine billige Nummer. De Rossi dagegen sagt ständig, er habe eine grandiose Mannschaft, voller Campioni, und das stimmt ja auch: Wie viel besser kann es werden als mit dem Argentinier Paulo Dybala und dem Belgier Romelu Lukaku in der Offensive?

Die Spieler sollen ihrer Lust folgen

De Rossi spricht auch nie von «meinem Fussball», wie das andere Trainer schon nach ein paar gewonnenen Spielen tun, als hätten sie ihn neu erfunden. Wäre auch vermessen. Der Weltmeister hat den Spielern das horizontale, fast nur defensive Gekicke ausgetrieben, das «Mou» immer eingefordert hatte. Mit De Rossi dürfen sie nun auch direkt spielen, steil, mal etwas riskieren. Wenn einem Verteidiger der Sinn nach einem Sturmlauf steht, dann soll er seiner Lust folgen. Immer funktioniert die Spielidee nicht, meistens gelingt so nur eine Halbzeit. Aber in der Europa League, da war die Roma bisher gegen zwei starke Gegner erstaunlich dominant, zunächst gegen Brighton und dann im Viertelfinal gegen die AC Milan.

Wenn De Rossi am Spielfeldrand steht, steckt er seine Hände fast immer tief in die Taschen seiner dunkelblauen Hose, er vergräbt sie, wohl um die Nervosität zu bändigen, die Emotionen. So deutet man das in Rom, als drohe eben doch immer, dass dem Chef das Herz überlaufe, das Herz des Römers und Romanista.

Die Friedkins sind dermassen angetan von der Art und Weise, wie der neue Trainer die Stimmung im Team und im gewogenen Teil der Stadt prägt, dass sie ihm bereits einen neuen Vertrag versprochen haben. Der laufende sollte nur bis Juni dauern. Nun redet man über ein Langzeitengagement, aus lauter, reiner Liebe.