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Colchicin im KaffeeWie aus einem Mann ein Mörder wurde

Tage vor der Gerichtsverhandlung legte der Beschuldigte ein schriftliches Teilgeständnis ab, wohl um einer Verurteilung wegen Mordes zuvorzukommen. 

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Am Ende sitzt er nur da, seine Hände zittern. In einem kahlen Raum des Regionalgerichts Bern Mittelland wird ein Mann in diesen Minuten zum verurteilten Mörder. Eineinhalb Stunden benötigt Gerichtspräsidentin Bettina Bochsler, um das entsprechende Urteil zu verlesen. Als sie fertig ist, hat auch sie keine abschliessende Antwort parat. Eine Antwort auf die Frage, warum dieser Mann seine Frau derart kaltblütig umbrachte. Richterin Bochsler sagt: «Wir verstehen es nicht.»

Der Mann ist 51 Jahre alt, aus der Region, er war Chef eines IT-Unternehmens, geriet nie mit dem Gesetz in Konflikt. Wer ihn kannte, beschreibt ihn als «herzlichen», als «hilfsbereiten» Menschen, als «wandelndes Wikipedia». Heute sitzt da nur ein Gezeichneter. Eine Autoimmunerkrankung hat alles an ihm langsam werden lassen – Sprechen, Gehen, Denken.

Am Donnerstag verurteilt das Gericht den Mann wegen des Mordes an seiner Ehefrau zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Zusätzlich muss er der Mutter der Ermordeten 39’000, ihrem Bruder 6500 Franken an Genugtuung bezahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte 18½ Jahre beantragt, die Verteidigung einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Ob sie Berufung gegen das Urteil einlegen, lassen beide offen.

So also endet das Verfahren, das am 24. März 2021 seinen Anfang nahm. Damals verlor die Frau auf der Intensivstation des Berner Inselspitals ihren Todeskampf. Gegen das Gift in ihrem Körper. Und so gesehen auch gegen diesen Mann. Den Zitternden im Gerichtssaal.

Eine tödliche Dosis

Vier Tage zuvor, am 20. März, verabreicht er seiner Ehefrau eine tödliche Dosis Colchicin, das Gift der Herbstzeitlosen, eines Krauts, das im Alpenraum gedeiht und zuweilen mit dem Bärlauch verwechselt wird.

An jenem Tag hat das Ehepaar Gäste eingeladen. Die Frau soll solche soziale Anlässe oft meiden, soll sie deshalb oft aus einem Gefühl des Unwohlseins absagen. Das nervt ihn, er will ihr zeigen, was «echte Beschwerden» sind.

Erst Tage vor dem Prozess, fast zwei Jahre danach also, gibt er zu, dass er ihr das Colchicin in den Kaffee gerührt habe. Töten aber habe er sie nicht wollen, gibt er zu Protokoll. «Es war ein Unfall.»

Colchicin entfaltet selbst bei geringer Dosierung eine tödliche Wirkung für den Menschen. Dennoch kommt es auch in der Medizin zum Einsatz, namentlich in Medikamenten gegen die Gicht.

Die Frau entwickelt umgehend Vergiftungssymptome. In den Tagen bis zu ihrem Tod wird sie zweimal hospitalisiert. Und der Mann schweigt, auch als seine Frau am 23. März in die Intensivstation überwiesen wird, ihre Leber und Nieren aufgeben und ihm die Ärztinnen erklären, dass sie in Lebensgefahr schwebe. Am 24. März um 10.05 Uhr stirbt sie an den Folgen eines Multiorganversagens. 

Bei der Obduktion findet man im Blut des Opfers das Colchicin. Bei ihrem Körpergewicht wären bereits 40 Milligramm tödlich gewesen – sie bekam über 200 verabreicht. 

«Sie haben zugeschaut, wie Ihre Frau ablebt»

Vor, während und nach der Tat chattet der Mann mit einer anderen Frau. Er ist offensichtlich verliebt. Tage nach dem Tod seiner Frau bucht er sich einen Termin für zwei Schönheitsoperationen – Nase richten, Haut straffen. Er will Eindruck machen, schreibt von gemeinsamen Ferien in Schottland, auf Mallorca. Dass seine Frau tot ist, lässt er unerwähnt.

Das Gericht zerlegt die Unfalltheorie der Verteidigung des Mannes in ihre Einzelteile. «Hätten Sie den Tod nicht gewollt, hätten Sie die Ärzte informiert», so Gerichtspräsidentin Bochsler.

Auswertungen von Suchverläufen auf Smartphones und Laptops des Mannes zeigen, wie er sich mit Arzneimitteln und Möglichkeiten befasste, mit denen sich ein Menschenleben lautlos auslöschen lässt.

Belegt sind weiter Medikamentenlieferungen an sein Postschliessfach – Mittel gegen Bluthochdruck, Depressionen, Herzschwächen und Gicht. Das Gericht geht von einer «über Wochen dauernden Beschäftigung mit tödlichen Dosierungen von Medikamenten» aus.

Mord ist Töten ohne Skrupel. Beweggrund, Zweck und Art des Tötens ergeben ein Bild. Eine Collage aus Niedertracht und Grauen, wenn man so will. Deshalb ging es in diesem Fall bald einmal auch um das Motiv des Mannes. Die Anklage zeichnete ihn als einen «feigen, introvertierten» Menschen, der es nicht fertiggebracht habe, sich einer Trennung zu stellen. Die Verteidigung als einen Unbeholfenen, dem eine völlig abstruse Idee entglitt.

Das Gericht macht den Mord schliesslich an der Gefühlskälte fest, mit welcher der Mann zum Gift griff: «Sie haben diese Tat lange geplant. Sie haben sich eines Mittels bedient, das bei Überdosierung zwingend zum Tod führt. Und Sie haben zugeschaut, wie Ihre Frau langsam ablebt.»