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Mit der Regionalbahn durch SchwedenIn aller Ruhe zum Polarkreis

Vilhelmina: Die Zugfahrt führt vorbei an Mischwäldern und Seen, wo Rentiere statt Menschen zu leben scheinen.

Dieser Artikel stammt aus der Schweizer Familie

Wo viele Menschen erschöpft ankommen, brechen der Fotograf und ich ausgeschlafen auf. Unser Start ist in der Stadt Mora, 300 Kilometer nördlich von Stockholm. Hier ist der Zielort des Wasa-Laufs. 1983 gewann diesen Langlaufwettbewerb mit Konrad Hallenbarter gar ein Schweizer.

Mora: Eine Bronzeskulptur und der ikonische Glockenturm sind Symbole für den Wasa-Lauf. Dieser findet jeden März statt.

Auf unserer dreitägigen Reise sind wir tagsüber im Zug unterwegs und übernachten entlang der Strecke in gastfreundlichen Hotels. Vor uns liegen 1067 Kilometer Schweden – über den Polarkreis und bis zum 67. Breitengrad. Der Zug, der nur aus einem rot-weissen Triebwagen besteht, rollt pünktlich ein.

Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Infos finden Sie hier.

1. Reisetag

0 km: Mora

Die Zugbegleiterin Heike Lippertz begrüsst die Gäste auf dem Perron. Sie stammt aus Deutschland und spricht fliessend Schwedisch. Während ihrer Ferien wurde sie hier gefragt, ob sie nicht eine Saison auf der Inlandsbanan mitmachen wolle. Sie sagte zu. «Das ist nun 14 Jahre her», sagt die 44-Jährige, und ein liebenswürdiges Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Heike Lippertz, 44, Zugbegleiterin bei der Inlandsbanan.

Sie wohnt in Östersund, einer Stadt in der Mitte Schwedens, dem heutigen Ziel. Wir verstauen das Gepäck im hinteren Teil des Zuges. Insgesamt 60 Sitzplätze gibt es in diesem touristischen Bummelzug, viele Plätze sind belegt. Die Sitze sind violett gepolstert und bequem.

Gemütlich: Wie ein Film zieht die Natur an den Fenstern vorbei – mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde.

In der Mitte des Wagens gibt es eine Toilette, zudem eine Verpflegungsecke mit Kaffee, Tee und Snacks. Die anderen Zugreisenden grüssen uns. Die Vorfreude über die nächsten Stunden en route ist spürbar.

102 km: Fågelsjö

Wir fahren durch idyllische Wälder. Ich erspähe viele Laubbäume, etwa Ahorn und Birke. Dann ist es Zeit für einen ersten Halt. Das Häuschen am Bahnhof Fågelsjö ist im für Schweden typischen Rot gehalten. Das sogenannte Falunrot wird aus Gesteinsresten und Erzen der Falun-Kupfermine hergestellt. Diese liegt rund 185 Kilometer weiter südlich und war seit dem frühen Mittelalter in Betrieb.

Fågelsjö: Ein Halt mitten im Nirgendwo, weitherum nur Wald und ein paar typisch rote Häuser.

Im 17. Jahrhundert war das Bergwerk für zwei Drittel der weltweiten Kupferproduktion verantwortlich. 1992 schloss das Werk, wobei die ikonische Farbe auch heute noch produziert wird. Seit 2001 gilt die Mine als Unesco-Welterbe und steht für alle offen.

Ich bin von totaler Dunkelheit umgeben. Das Einzige, was ich höre, ist der Schlag meines Herzens.

Auf einer Tour erhalten wir einen Helm und einen Regenumhang. Wir steigen 400 Stufen hinab und nehmen einen Lift, bis wir 67 Meter unter der Erdoberfläche sind. Die engen Gänge, gepaart mit dem fahlen Licht, der modrigen Luft und den konstanten fünf Grad Celsius, lassen erahnen, wie beschwerlich das Arbeiten unter Tage gewesen sein muss.

Als die Tourenführerin die Gaslampen und die elektrischen Lichter löscht, bin ich überwältigt. Ich bin von totaler Dunkelheit umgeben. Das Einzige, was ich höre, ist der Schlag meines Herzens.

Kupfermine: In 67 Metern Tiefe im Werk von Falun ist es kalt, modrig und sehr still.

Beim Stopp in Fågelsjö legen wir eine «fika» ein. Wörtlich übersetzt bedeutet dies «Zeit für Kaffee». So nennen die Schwedinnen und Schweden ihre Kaffeepause, bei der eine Süssigkeit immer dazugehört.

Vor dem roten Bahnhofgebäude verkauft ein lokaler Bäcker neben Kaffee auch selbst gemachte Zimtschnecken, «kanelbullar». «Hej, Hannes», ruft ihm Zugbegleiterin Heike zu, und zu mir gewandt: «Du musst unbedingt zugreifen, das sind die besten in Schweden!» – «Oder sicherlich an der Inlandsbanan-Linie», entgegnet der Bäcker. Er kommt ursprünglich aus Deutschland, doch hat er die schwedische Bescheidenheit verinnerlicht. Mein «Das war sehr lecker» nach dem Verzehr goutiert er mit einem knappen Lächeln.

Kanelbullar: Im Café Gjuthuset in Falun serviert Emma Zimtschnecken, ein typisch schwedisches Gebäck.

Bevor wir am Bahnhof Sveg sind, kündigt Heike Lippertz den Fahrgästen ein Highlight der Strecke an: «Wir sind gleich bei der Mankell-Brücke.» Dies sei eine kombinierte Eisenbahn- und Strassenbrücke über den Fluss Ljusnan. Sie wurde 1908 erbaut und 2001 nach Henning Mankell benannt. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte der berühmte Erfolgsautor in Sveg. Der Zug fährt an die Brücke heran und hält.

Mankell-Brücke: Sie ist nach dem Erfolgsautor benannt. Autos und Zug teilen sich eine Fahrbahn.

Mithilfe einer Fernbedienung meldet unser Lokführer Bedarf an einer Überquerung an. Vor uns liegt eine graue Stahlbrücke, sie hat bereits Rost angesetzt. Wir werden von Heike Lippertz informiert, dass wir gleich sehen können, wie sich die Schranke auf der Strasse senken und unser Lichtsignal auf Grün wechseln wird. Und tatsächlich, die Schranke geht runter, und die Ampel ändert die Farbe, sodass der Zug freie Fahrt geniesst.

136 km: Sveg

Am Bahnhof Sveg händigt Lippertz die Fernbedienung dem Bahnhofvorsteher aus. Er wird sie dem nächsten Inlands­banan-Zugteam mitgeben, welches südwärts fahren wird. Um den Bahnhof her­um stehen einige Häuser. Der Vorsteher winkt uns zum Abschied zu, und kurz darauf sind wir schon wieder von dichtem Wald umgeben.

198 km: Sörtjärn

Der Zug tuckert gemächlich durch die Landschaft. Schon länger haben wir kein Haus mehr gesehen. Dieses Eintauchen in die Abgeschiedenheit wirkt beruhigend. Ich ertappe mich dabei, dass meine Gedanken in der Weite der Natur verschwinden. Kein Wunder, hat die Inlandsbanan eine treue Fangemeinde. Davon zeugen nicht nur Fahrgäste mit T-Shirts und Sonnenmütze mit dem Logo drauf.

Zurückgezogen: Je nördlicher, desto mehr Fichten und Kiefern prägen die Landschaft. Manchmal blitzt ein Zeichen der Zivilisation auf.

«Bald werden wir ein Haus passieren, in dem eine deutsche Familie wohnt», erklärt Heike übers Mikrofon. «Wenn wir vorbeifahren, steht oft die Familie vor dem Haus und grüsst uns. Mal schauen, ob sie heute zu Hause sind.» Tatsächlich ruckeln wir wenige Minuten an einer winkenden und gar Schweden-Fahnen schwingenden Familie vorbei. Wir winken herzlich zurück. Sofort macht sich gute Laune breit, ich blicke in strahlende Gesichter.

Ta-tak, ta-tak. Der Zug schaukelt durch die Gegend. Die Wälder vor dem Fenster scheinen endlos. Ich mache mich auf zum frei zugänglichen Führerstand und besuche Lokführer Christer Sandström.

Der 67-Jährige sitzt ruhig auf seinem Platz. Wir befänden uns gerade auf dem längsten vollkommen geraden Abschnitt unserer Reise, erzählt er stolz. Er sei neun Kilometer lang. Die Ruhe durchbricht er immer mal wieder mit einem Hupen, damit Wildtiere in unmittelbarer Gleisnähe aufgeschreckt werden.

Der dieselbetriebene Bahnwagen aus italienischer Produktion wiegt uns mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde durch das schwedische Inland.

Die Idee zum Bau dieser 1288 Kilometer langen Bahnlinie kam Ende des 19. Jahrhunderts auf, doch es sollte noch drei Jahrzehnte dauern, bis die Strecke fertiggestellt war. Hinter dem Bau standen strategische und wirtschaftliche Beweggründe. Man ging davon aus, dass eine Eisenbahnlinie, die durch das unzugängliche schwedische Binnenland führte, viel leichter zu verteidigen sein würde als eine Eisenbahnlinie entlang der Küste. Zudem würde sie den weniger besiedelten Norden des Landes mit all seinen wertvollen Rohstoffen wie etwa Eisen, Stahl und Kupfer mit den Handelszentren im Süden verbinden.

Ein Vegiburger oder Rentierfleisch mit Beilagen vom regionalen Buffet stehen zur Auswahl.

Damit wir in gut einer Stunde alle zufrieden unser Abendessen in Åsarna einnehmen können, bittet uns Heike Lippertz, das Menü auszuwählen. An jedem Sitzplatz liegen Speisekarten auf. Ein Vegiburger oder Rentierfleisch mit Beilagen vom regionalen Buffet stehen zur Auswahl.

219 km: Röjan

Der Zug fährt langsam in einen Bahnhof mitten im Niemandsland ein. «Hier in Röjan leben unter dem Jahr nur ein Dutzend Menschen», sagt Heike Lippertz. «Im Winter strömen viele Menschen für den Wintersport hierhin.» In den Sommermonaten fährt die Inlandsbanan vor allem für Touristinnen und Touristen, im Winter sind auch viele Einheimische mit dem Zug unterwegs.

Eine Frau steigt heute mit ihrer kleinen Tochter zu, sie scheint das Bordpersonal zu kennen. Später erfahre ich, dass die Frau die Tochter unseres Lokführers ist. Sie fährt einen Teil der Strecke im Führerstand mit, die Enkeltochter darf beim Grossvater auf dem Schoss Platz nehmen.

Platz für die Familie: Die Enkeltochter von Lokführer Christer Sandström darf auf seinem Schoss mitfahren.

Kurz nach Röjan verlangsamt der Zug sein Tempo. Die Reisenden blicken links und rechts aus dem Fenster und suchen nach dem Grund dafür. Ein Fahrgast springt auf und ruft: «Reindeer!» Eine Dreiergruppe Rentiere hat sich bei einer Lichtung niedergelassen. Der herannahende Zug scheint sie nicht weiter zu stören, schnell werden Fotos gemacht, bevor der Zug wieder Fahrt aufnimmt. Der Fahrplan muss eingehalten werden.

Rentier: Die Zucht dieser majestätischen Tiere ist ein Privileg der Samen, des indigenen Volks in Schweden.

239 km: Åsarna

Pünktlich zu unserem vorbestellten Znacht treffen wir in Åsarna ein. Das Restaurant ist schlicht eingerichtet, das Essen schmeckt wunderbar. Bedient werden wir von auffällig jungen Menschen. Wegen der zwei Monate dauernden Schulferien sei es in Schweden im Sommer für Schülerinnen und Schüler üblich, zu arbeiten, erklärt mir später ein Ortskundiger. Die Sonne steht noch immer hoch am Himmel und taucht den Zug in ein bezauberndes Licht.

321 km: Östersund

Der erste Reisetag neigt sich dem Ende zu, als wir allmählich in Östersund eintreffen. Die Stadt liegt ungefähr in der Mitte Schwedens und am Ostufer des Storsjön, des fünftgrössten Sees im Land. Auf einem Spaziergang durch die Innenstadt sehen wir alte Holzhäuser und malerische Gassen.

In einem Pub gleich neben unserem Hotel gönnen wir uns noch ein lokales Bier. Ich erzähle der Bardame, dass wir mit dem Inlandsbanan-Zug gekommen seien. Das sei sehr schön, sagt sie. Aber für sie selber gehe die Reise zu lange. Nach einer Übernachtung besteigen wir einen neuen Zug der Linie, es geht weiter nordwärts.

2. Reisetag

Frühmorgens brechen wir auf zur nächsten Etappe. Beinahe 500 Kilometer stehen heute auf dem Programm. Gemeinsam mit dem Fotografen und mir steigt eine grosse Reisegruppe in den Zug ein. Die Stimmung ist trotz Tagesanfang ausgelassen. Ursprünglich gab es entlang der Strecke rund 200 Bahnhöfe und Haltestellen sowie mehr als 200 Wartehäuschen. Die meisten sind inzwischen verschwunden, stillgelegt oder wurden umfunktioniert.

Heute können die Fahrgäste an 29 offiziellen Bahnhöfen ein- und aussteigen. Dazwischen gibt es Stationen, an denen der Zug nur hält, wenn jemand vom Bahnsteig aus ein Zeichen gibt. Natürlich fahren manche Leute auf der Inlandsbanan, um von A nach B zu kommen. Aber wir, wie die meisten Reisenden, machen eine richtige Bahnreise.

436 km: Ulriksfors

Wir fahren an einem gelben Gebäudekomplex vorbei. Ab 1956 war hier ein Gefängnis für Kleinkriminelle. Da die inhaftierten Personen frei ein und aus gehen sowie eine Ausbildung absolvieren konnten, wird es auch Schwedens erstes «Hotel» genannt. Das Gefängnis schloss 1979, heute sind hier verschiedene Firmen eingemietet. Unter anderem ein Fitnessstudio mit dem vielsagenden Namen Prison Gym.

568 km: Vilhelmina

Unterwegs macht der Zug einen Zwischenstopp am Bahnhof Vilhelmina norra – mitten in der Wildnis. Der Grund dafür: das Restaurant Bergmans. Auf uns wartet Hausmannskost mit Fisch wie etwa geräuchertem Lachs oder Wildfleisch.

Lokaler Genuss: Geräucherter Elch und Rentierwurst passen zu Kartoffelsalat.

Ich komme mit einem niederländischen Paar ins Gespräch. Sie sind aus Utrecht und unternehmen diese Reise zum zweiten Mal: «Die Wälder, dazwischen die Seen und immer mal wieder ein Rentier: Es ist unglaublich schön», sagen sie. Ich winke ihnen zum Abschied, als wir kurz vor fünf Uhr abends den Zug in Arvidsjaur verlassen. Vor dem Abendessen gönne ich mir einen Saunagang.

794 km: Arvidsjaur

Am nächsten Tag treffen wir Simone Mendelin, 45, Jürg Eugster, 48, und ihre beiden Kinder Ronja, 14, und Luis, 11. Sie wohnen bei Arvidsjaur in Schwedisch-Lappland in einem roten Haus.

Arvidsjaur: Familie Mendelin-Eugster bietet Holzschnitzkurse an. Ein Löffel kann dabei nach Gusto gefertigt werden.

Bei der Schweizer Auswandererfamilie dürfen wir am Feuer sitzen und ein Souvenir aus Weidenholz schnitzen. Ein Buttermesser oder ein Holzlöffel stehen zur Wahl. Ich entscheide mich für Letzteres – und bin froh um die tatkräftige Unterstützung von Jürg Eugster. «Trau dich!», motiviert mich Tochter Ronja, als sie sieht, wie ich zaghaft mit dem Beil hantiere. Das gemeinsame Herumwerkeln macht grosse Freude.

Autorin Carole Gröflin mit Jürg Eugster.

Simone Mendelin und Jürg Eugster erzählen, wie sie sich im Norden Schwedens eine Existenz aufgebaut haben. Seit 15 Jahren haben sie eine Huskyfarm mit 60 Hunden und führen im schneereichen Winter Hundeschlittentouren durch. Jürg Eugster holt in der Werkstatt Schleifpapier, welches er mir für den Feinschliff mitgibt. «Zu Hause kannst du den Löffel noch mit Kaffeesatz einreiben, das gibt eine tolle Farbe», empfiehlt er beim Abschied.

3. Reisetag

Wir steigen wieder in den Inlandsbanan-Zug, am Bahnhof sehen wir bekannte ­Gesichter vom Vortag – es herrscht eine angenehme Vertrautheit. Es hat weniger Menschen als gestern, es sind vor allem Paare unterwegs. Ich nutze die Ruhe im Zug, nehme einen Plastiksack hervor und schleife weiter an meinem Holzlöffel. An meinem Werkeln stört sich niemand, draussen flitzen Baumstämme vorbei, und wir Zugreisenden sind alle in einem Trancezustand.

Wir durchqueren Schwedisch-Lappland, eine Region, die von ausgedehnten Birken- und Kiefernwäldern, Sümpfen, Mooren und Heidelandschaften geprägt ist.

Dies ist das Land der Samen. Das indigene Volk lebt hier mit seinen Rentieren in der Natur. Wir überqueren eine Reihe von Flüssen, die von den skandinavischen Gebirgszügen zur Ostsee führen, und passieren Schwedens kleinstes Bahnhofgebäude in Buddnakk, das nicht grösser als eine Besenkammer ist.

Buddnakk: Klein, aber fein ist dieses Bahnhofhäuschen.

960 km: Polarkreis

Und dann kommt der krönende Abschluss: Wir erreichen den Polarkreis. Die Lage des 66. Breitengrades ist auf beiden Seiten der Route mit weiss bemalten Steinen und einem grossen Schild markiert. Vom Perron aus müssen für einen tollen Blick in die Weite ein paar Treppen hochgestiegen werden. «Die Grenzziehung ist nicht korrekt», sagt Zugbegleiter Wilhelm Karlsson, 21. Der Polarkreis verschiebe sich nämlich jedes Jahr um ein paar Meter. Dies, weil sich die Neigung der Erdachse allmählich ändere.

Polarkreis: Weiss bemalte Steine und ein Schild markieren den Verlauf des 66. Breitengrads.

Zurzeit nähern sich die beiden Polarkreise den Polen um rund 14 Meter pro Jahr. Nach einer kurzen Pause bittet Wilhelm die Fahrgäste wieder in den Zug. Als die letzten Gäste einsteigen, springt Lokführer Marcus Piribauer die Stufen hoch und blickt in die Ferne. «Es berührt mich jedes Mal, wenn ich dort oben stehe», erklärt er mir im Anschluss. Er liebe seinen Beruf, und es sei ein Privileg, mit derart viel Zeit durch die schwedische Wildnis fahren zu dürfen. Seine Liebe geht unter die Haut, seine Oberarme zieren Tattoos mit Zugschienen und Lokomotive.

Marcus Piribauer, 35, Lokführer bei der Inlandsbanan.

Zurück im Zug, überreicht mir Wilhelm ein Zertifikat: «Gratulation, du hast soeben den nördlichen Polarkreis überquert!» – «Das ist grossartig», sagt ein Fahrgast vor mir. Recht hat er. Wir fahren weiter durch endlos scheinende Nadelwälder. Meine Gedanken schweifen zu meinem Geografielehrer, der mir von der menschenleeren Taiga vorgeschwärmt hat. Von ihr umgeben, kann ich seine Faszination Jahrzehnte später nachvollziehen.

966 km: Jokkmokk

Zugbegleiterin Maria Strömbäck Svärd steigt zu. Die 62-Jährige lebt da und fährt täglich für das letzte Stück mit. «Ich liebe die Natur hier», sagt sie und strahlt. Ich muss ihr beipflichten. Diese menschenleeren Waldweiten und einsamen Seen- und Moorlandschaften verströmen Magie. Das Ruckeln des Zuges dazu wirkt meditativ. Meine Alltagssorgen sind in nur drei Tagen in weite Ferne gerückt.

1067 km: Gällivare

Es ist nach 10 Uhr abends, als wir uns dem Ziel unserer Reise nähern: Gällivare. Da wir im hohen Norden sind, ist es Mitte Juli angenehm hell. Maria Strömbäck Svärd singt ein samisches Lied.

Gällivare: Zugbegleiterin Maria singt zum Abschied ein samisches Lied.

Es ist heiter und zugleich wehmütig. Zum nahenden Ende unserer Zugreise passt es perfekt. Denn die Reise im Zug über 1000 Kilometer war ein Genuss! Schade, ist sie zu Ende.